[infobrief] PE - HEUTE MORGEN: Willkürlicher Polizeieinsatz gegen ProzessbesucherInnen im Amtsgericht Göttingen :: Zurzeit versammlen sich etwa 20 Menschen vor der Polizeidirektion in der Groner Landstr. und fordern die Freilassung des Festgenommen
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Die Mai 16 11:17:16 CEST 2006
Göttingen, 16.Mai, 11.15 Uhr
PE - HEUTE MORGEN: Willkürlicher Polizeieinsatz gegen ProzessbesucherInnen im
Amtsgericht Göttingen :: Zurzeit versammlen sich etwa 20 Menschen vor der
Polizeidirektion in der Groner Landstr. und fordern die Freilassung des
Festgenommen
Rückfragen: 0176-23294274
Im Amtsgericht Götingen fand heute Vormittag der Prozess gegen einen
Unterstützer der Familie Saado aus Ossenfeld statt. Direkt im Anschluß an das
Verfahren wurden die ProzessbesucherInnen von 10 bis später 30
Bereitschaftspolizisten angegriffen: es kam zu Verfolgungen auf der
vielbefahrenen Berliner Straße und mindestens ein Besucher wurde von der
Polizei mitgenommen.
Nach Ende des Prozesses gegen 10 Uhr standen mehrerer Einsatzwagen der Polizei
vor dem Amtsgericht bereit. Die Beamten gingen auf die ProzessbesucherInnen
zu und forderten die Herausgabe der Personnalien.
Es wurde den BesucherInnen des Prozesses - darunter auch JournalistInnen -
verboten, den Platz vor dem Amtsgericht zu verlassen. Es kam zu Verfolgungen
entland der dichtbefahren Berliner Strasse. Einige Personen wurden brutal
festgehalten. Mindestens ein Prozessbesucher wurde zur Polizeiwache
abtransportiert. Mehrere Personalien wurde festgestellt.
Diese Angaben zur Polizeiaktion beruhen auf den Aussagen von Zeugen. Ein
ausführlicher Bericht folgt im Laufe des Tages.
In der Gerichtsverhandlung heute morgen war der 27jährige Volker N. angeklagt,
den Leiter der Ausländerbehörde im August 2004 beleidigt zu haben.
Zusammen mit etwa 30 Personen ist dem Leiter Manfred Fraatz damals ein
"blutiger Füller" als Auszteichnung für Schreibtischtäter überreicht worden.
Das Verfahren wurde nach kurzer Verhandlung gegen Auflagen eingestellt.
Hintergrund dieser Aktion war der erste Versuch der Göttinger Behörde im
August 2004 den Vater der neunköpfigen Familie Saado abzuschieben. Zu den
Hintergründen findet sich unten eine Stellungnahme von Volker N. zu dem
Verfahren.
Zu den Hintergründen der Abschiebung Saados:
http://www.abschiebemaschinerie-stoppen.de/libasoli/saado.htm
___________________________
Stellungnahme des Angeklagten Volker N. zum heutige Verfahren:
Ich möchte im folgenden auf den “Tathergang”, die Geschehnisse im Büro der
Ausländerbehörde und auf die Vorwürfe sowie deren Zustandekommen eingehen.
Zunächst der Tathergang:
Am Dienstag, dem 10. August 2004, um 7.00 Uhr früh, versuchten Polizeibeamte
Ahmed Saado, den Vater der neunköpfigen Familie Saado aus Ossenfeld in die
Türkei abzuschieben.
Die Familie lebte zu diesem Zeitpunkt seit 16 Jahren im Landkreis Göttingen.
Sie ist vor 20 Jahren aus dem Libanon nach Deutschland geflohen.
Die Ausländerbehörde hatte in den Monaten zuvor den Druck auf die Familie
unerträglich erhöht:
Die Angehörigen bekamen nur noch Duldungen, ihre Aufenthaltsbefugnisse wurden
ihnen entzogen und ihre arabischen Namen wurden in türkische umgeändert:
Warum? - um sie in die Türkei abschieben zu können – für sie alle ein fremdes
Land.
Der überfallartige Abschiebeversuch vor dem Haus in Ossenfeld dauerte
anderthalb Stunden. Die Familienmitglieder wollten es nicht zulassen, dass
der kranke Vater von ihnen getrennt wird.
Erst mit der Verstärkung von 15 Polizisten gelang es, Ahmed Saado in
Handschellen abzuführen. Dabei kam es zu Rangeleien und zu Beschimpfungen
durch die Beamten. Die Mutter brach zusammen und mußte mit einem
Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden.
Die Abschiebung scheiterte dennoch, nachdem Ahmed Saado im Flughafen Hannover
zusammenbrach.
Verantwortlich für diese Tat: Manfred Fraatz.
Aus eben diesem Anlass habe ich mich 9 Tage später an der Preisverleihung im
Büro des Fraatz beteiligt. Ihm wurde als Auszeichnung für Schreibtischtäter
der “Blutige Füller” überreicht.
Schreibtischtäter - diese Bezeichnung für das Handeln dieses Beamten ist nach
wie vor berechtigt, wenn sie nicht sogar beschönigend ist. Eine Unterschrift,
ein Mouseklick und eine Familie wird auseinandergerissen, die Zukunft von
Menschen wird zerstört – oder, wie es ein Jahr später geschehen sollte: Das
Leben eines Menschen wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt:
Am 24. August 2005 – ein Jahr nach dem Besuch in der Ausländerbehörde – wurde
Ahmed Saado abgeschoben! Trotz wochenlanger Proteste und der Solidariät
hunderter GöttingerInnen.
Und nicht nur das: Mehrere Ärzte haben sich in ärztlichen Bescheinigungen
gegen die Abschiebung Saados ausgesprochen – es bestand Suizidgefahr.
Das Klageverfahren gegen die Abschiebung war noch nicht entschieden.
Verwaltungsrichter hatten aber einer Abschiebung zugestimmt, nachdem Fraatz
zugesichert hatte, dass Ahmed Saado bis zu seiner Abschiebung von mehreren
Ärzten begleitet wird. Für die Zeit nach der Abschiebung sicherte die
Ausländerbehörde zu, dass Ahmed Saado ein Jahr in einer geschlossenen
psychiatrischen Anstalt untergebracht werden sollte.
Ahmed Saado berichtet allerdings nach seiner Abschiebung, dass er zu keiner
Zeit einen Arzt zu Gesicht bekommen hatte. Stattdessen sei er von
Bundespolizisten vor und während der Abschiebung misshandelt worden. In der
Türkei wurde er zum mehrjährigen Militärdienst eingezogen – ärztliche
Betreuung erhielt er nicht.
Zur Enstehung des “Nazimörders”
Heute dauert dieses Verfahren gegen mich beinahe zwei Jahre an. Im Laufe des
Verfahrens sind die Vorwürfe auf “Beleidigung” zusammengeschrumpft.
– von dem Vorwurf der Sachbeschädigung lohnt es sich nicht zu sprechen. Sie
fand nicht statt – deshalb gibt es keine Zeugen und selbst die beschädigte
Sache existiert nicht.
Im Raum steht, dass MF während der Preisverleihung als “Nazimörder” bezeichnet
worden sei. Diese oder eine ähnliche Nazi-Bezeichnung für Fraatz ist zu
keiner Zeit während des Besuchs gefallen. Warum auch? Ziel der
Preisverleihung war es, das rassistische Handeln der Behörde aus dem Schatten
der Alltäglichkeit zu holen und es sichtbar zu machen.
Das, was in Ossenfeld einige Tage zuvor geschehen ist, ist dafür mehr als
ausreichend und steht für sich – da braucht es keine Gleichsetzungen. Weder
mit den rassistischen Morden von Stiefelnazis noch mit den Kriegsverbrechen
des Nationalsozialismus.
Neben diesen beiden Bedeutungen hat “Nazimörder” noch eine dritte, die sich
ebenso ausschließt. Ich gehe nicht davon aus, dass sich Fraatz tätlich gegen
Nazis richten würde.
Ganz im Gegenteil: mit seinem Handeln gibt er Neonazis Futter für ihre
Propaganda und befördert rassistische Denkmuster. Nicht umsonst finden sich
die Diffamierungen der Behörden zur Abschiebung Ahmed Saados auf der
Internetseite der Göttinger NPD.
Oder anders gesagt: “Eine sich immer weiter verschärfende Abschiebepraxis ist
Wasser auf die Mühlen der Nazis; sie knüpft nahtlos an deren
ausländerfeindliche Politikvorstellungen an. Nationalismus und Rassismus
entstehen auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus.” So heißt es im Aufruf
des Bündnisse von DGB und etwa 40 Göttinger Initiativen zu der Demonstration
gegen den Nazi-Aufmarsch in Göttingen am vergangenen Samstag.
Hinzu kommt: in er Akte, die hier fleißig in den vergangenen Monaten zu dieser
Geschichte angelegt wurde, ist der Vorwurf, dass MF als “Nazimörder”
bezeichnet worden sei, erst im Laufe der Vernehmungen Fraatzs durch das 4. FK
entstanden
[.....]
MF ist der einzige, der dies gehört haben will und erst in der Vernehmung
durch die politische Polizei kommt es zu dieser Wortkonstruktion.
So fadenscheinig diese Vorwurfkonstrukte sind, so deutlich wird der Zweck
dieses Verfahrens: Der Protest gegen die rassistische Praxis dieser Göttinger
Behörde und ihrer Beamten soll diskreditiert werden.
Diskreditiert durch die Kriminalisierung, die hier stattfindet.
Diskreditiert, indem dem Protest Worte in den Mund gelegt werden, die ihn als
völlig absurd darstellen sollen.
---
Schließlich bleibt nur noch festzustellen, dass es eine Farce ist, was für ein
Wirbel für diesen Nazimörder-Schund betrieben wird:
- es gab Ermittlungsverfahren gegen drei Personen
- mehrere Gerichte haben sich bisher mit der vom 4 FK verlangten ED-Festellung
befassen müssen
- mit Durchsuchungsbeschluss und dem Einsatz etlicher Beamter wurde die
Erkennungsdienstliche Behandlung schließlich durchgesetzt
Gleichzeitig ist es für die Familie Saado ein Ding der Unmöglichkeit, die
Verantwortlichen der Abschiebung ihres Vaters für die ihm zugefügten
Misshandlungen und die bewußte Inkaufnahme eines möglichen Suizids rechtlich
zu belangen.
Die Verantwortlichkeiten werden zynisch zwischen den Dienststellen hin und her
geschoben, bis sie irgendwo unter den Teppich gekehrt werden.
Da sollten Sie – Werter Herr Richter - und Sie - liebe Staatsanwaltschaft -
ansetzen. Aber es auch klar, dass das nicht passieren wird.
Und deshalb wird es auch in Zukunft zu Protesten gegen die rassistische
Behördenpraxis in Göttingen kommen.
Göttingen, 16.5.2006
Volker N.
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