[infobrief] PM: Landkreis Göttingen leitet Abschiebung ein; Spontandemonstration

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Fr Jan 29 16:32:19 CET 2010


Göttingen, den 29.01.2010

Landkreis Göttingen leitet Abschiebung ein; Spontandemonstration

Der Landkreis Göttingen hat am heutigen Freitag die Verlängerung der
Duldung des 25-jährigen Sead B. aus Duderstadt verweigert. Die Duldung
der Person läuft nun übermorgen am 31. Januar ab. Die Ausländerbehörde
stellte ein Dokument aus, wonach die Abschiebung in das Kosovo
eingeleitet sei.

Der Behördengang der betroffenen Person wurde von 25 UnterstützerInnen
begleitet. Die MitarbeiterInnen des AusländerInnenamts behaupteten, es
sei ihnen nicht möglich die Duldung zu verlängern. Die
AbschiebegegnerInnen sprachen daraufhin auch mit Landrat Schermann und
forderten den Abbruch der eingeleiteten Abschiebung sowie die
Verlängerung der Duldung. Auch dieser wies jedwede Handlungsmöglichkeit
zu Gunsten der geduldeten Personen zurück und behauptete, den kommunalen
Behörden seien die Hände gebunden. Vielmehr sei eine Verlängerung der
Duldung ein "Rechtsbruch", er sei vom Innenministerium angewiesen, die
Duldungen der zur Abschiebung vorgemerkten Personen nicht zu verlängern.
Sich gegen diese Erlasslage zu widersetzen, stelle eine "Straftat" dar.

Die drohende Abschiebung ist Teil der "Rückführung" von Flüchtlingen,
die im Zuge des Kosovokonfliktes nach Deutschland gekommen sind. Stadt
und Landkreis Göttingen hatten Ende letzten Jahres zunächst 64 Personen
für die Abschiebung angemeldet. Dass die kommunalen Stellen nun
behaupten, keine Verantwortung für die entstandene Situation zu haben,
geht somit an der Realität vorbei. Vergangenen September konnte sich der
Kreistag des Landkreises nicht einmal auf eine Resolution gegen die
geplanten Abschiebungen einigen.

Sead B. ist seit 1999 in Deutschland. Während der gesamten Zeit lebte er
im höchst unsicheren Rechtsstatus der Duldung und fiel somit unter die
Regelung der sogenannten Residenzpflicht. Das bedeutet, Sead B. war es
über den gesamten Zeitraum nicht gestattet, den Landkreis Göttingen ohne
Erlaubnis zu verlassen. Darüberhinaus wurde Sead ein Umzug von
Duderstadt nach Göttingen, wo er eine Arbeitsstelle im Klinikum hatte,
verweigert. Die sogenannte Bleiberechtsregelung kam für ihn nicht in
Betracht, da er drei Mal in zehn Jahren beim Verstoß gegen die
Residenzpflicht aufgegriffen und daher als "Straftäter" verurteilt
wurde. Zudem verlor er 2009 seine Arbeitsstelle, nachdem er - durch den
Zwang bei der weiten Anfahrt zur Arbeitsstelle die öffentlichen
Verkehrsmittel zu benutzen - zwei mal verspätet erschienen war. Seither
blieb die Bemühung um eine neue Arbeitsstelle trotz unzähliger
Bewerbungen ohne Erfolg. ArbeitgeberInnen begründeten ihre Ablehnung mit
der Tatsache, dass Sead B. jederzeit abgeschoben werden könne. Überdies
sind die Möglichkeiten einer Beschäftigung aufgrund der örtlichen
Begrenzung auf den Landkreis Göttingen stark eingeschränkt.

Der Vater der Familie, Fadil B., hat bereits einen abgebrochenen
Abschiebeversuch hinter sich: Am 9. Dezember letzten Jahres wurde er
zusammen mit einer Tochter zum Frankfurter Flughafen gebracht. Damals
konnte der Anwalt der Familie mit einem Eilantrag erreichen, dass die
Abschiebung mit Rücksicht auf den Zusammenhalt der Familie zunächst
ausgesetzt wurde, da die Mutter aus gesundheitlichen Gründen nicht
"reise"-fähig war.

Nach der Behördenbegleitung am heutigen Freitag verließen die
UnterstützerInnen Seads das Landkreisgebäude, nachdem dieser
aufgebrochen war, um seinen Rechtsanwalt aufzusuchen. Es formierte sich
eine spontane Demonstration gegen Abschiebung und für ein
bedingungsloses Bleiberecht für alle. Etwa 50 TeilnehmerInnen schlossen
sich dem lautstarken Protestzug in die Innenstadt an.

Der Arbeitskreis Asyl verurteilt die menschenverachtende Praxis der
Abschiebungen. Alle Menschen sollen leben dürfen, wo immer sie möchten.
Die rassistische Sondergesetzgebung für AsylbewerberInnen und Geduldete
muss abgeschafft werden. Das Recht auf Bewegungsfreiheit muss für alle
Menschen gelten.

Zudem werden alle GöttingerInnen aufgefordert, sich mit aller Kraft für
den Verbleib der von Abschiebung bedrohten Personen in Göttingen
einzusetzen, die Proteste zu unterstützen und sich von den
Diskreditierungsversuchen der Strafverfolgungsbehörden nicht
einschüchtern zu lassen. Die MedienvertreterInnen fordern wir zu einer
kritischen, nicht vorverurteilenden Berichterstattung auf.